Vom Hirtenmädchen zur Lehrerin – eine ladakhische Erfolgsstory

Die kleine Thinlas Lhamo hütet Schafe auf einem Berg. Sie kennt nichts anderes: das Vieh auf die Weide treiben, warten und aufpassen, immer ein wachsames Auge, denn ab und zu zeigen sich Wölfe am Horizont. Oft ist sie allein mit den Tieren. Einen Grashalm im Mund, Blicke verfolgen die Wolken am Himmel. Lhamo träumt. Davon in die Schule zu gehen und viel zu lernen, um eines Tages ihren Berufswunsch in die Realität umsetzen zu können. Wenn ich groß bin, möchte ich Lehrerin werden.

Von Greta Kostka, Obfrau des Vereins Friends of Lingshed

Eine Reise zurück in die Zeit
1988: Auf einem Bauernhof am Rande von Lingshed (Ladakh). Der Hof ist wegen der extremen Witterung mit dicken Mauern wie eine kleine Festung gebaut. Er beherbergt eine Familie mit ihren Yaks, Ziegen und Schafen. Thinlas Lhamo ist sechs Jahre alt und eines von sechs Kindern.

Wenn Thinlas Lhamo abends müde mit ihrer Herde nach Hause kommt, bekommt sie von ihrer Mutter eine Schale Buttertee und hilft dann beim Aufwickeln von Schafwolle. Wie so oft beginnt sie von ihrem Herzenswunsch zu sprechen: Amale [Mutter], ich möchte in die Schule gehen. Ich möchte lernen!
Die Mutter seufzt. Ihre Arbeit wird zwar dringend benötigt, aber es wird schon irgendwie gehen.

1993: Thinlas Lhamo ist glücklich. Sie hat nach fünf Schuljahren in Lingshed das Aufstiegszeugnis für das Gymnasium in Khaltse geschafft. Der lange Schulweg von mehr als einer Stunde hat sie nie gestört. Mit Essen ausgestattet ist sie bis zur Dorfschule gelaufen, die so gar nicht wie eine Schule aussehen wollte. Ein uralter, baufälliger Verschlag stand an ihrer statt. Gerade genug als Unterstand für die 20 bis 30 Kinder.
Trotzdem: Für Lhamo bedeutete Lernen das Tor zur Freiheit. Was für uns bereits selbstverständlich ist, war für sie die Verbindung zu einer größeren Welt.

1998: Thinlas Lhamo ist nun Internatsschülerin. Sie besucht die 10. Klasse. Das Leben im Internat ist genau eingeteilt, die Prüfungen sind schwer. In den Sommerferien geht sie zurück nach Lingshed und hilft auf den Feldern und bei der Hausarbeit. Die Eltern erzählen von den Fremden aus Österreich, die nun schon seit einigen Jahren ins Dorf kommen und sich für die Schulbildung einsetzen. Sie nennen sich Friends of Lingshed. Sie haben Jampal, den ortsansässigen Apotheker, als Privatlehrer angestellt, und nun geht auch Eshey, die kleine Schwester, lieber zur Schule. Jampal ist ihr vertraut, er ist lustig und kennt die schönsten Lieder! Jampal und der von der Regierung angestellte Lehrer verstehen sich gut und arbeiten gern zusammen. Es wird auch vom Bau einer Solarschule gesprochen.

Thinlas Lhamo bereitet sich jeden Winter intensiv auf die schweren Prüfungen vor.
Friends of Lingshed hat ein Nachhilfesystem für den Winterunterricht in Khaltse eingerichtet. Alle Lernwilligen können den Winter über im Internat bleiben. Sie fühlt sich sicherer und ihrem Ziel näher.

2000: Die Idee der Österreicher, in Lingshed eine Schule zu bauen, die durch Sonneneinstrahlung erwärmt wird, ist zur Wirklichkeit geworden. Von nun an können die Kinder von Lingshed auch im Winter die Schule besuchen. Bald nach dem Bau der Solarschule wurden von der Regierung ein Internat und ein weiteres Schulgebäude errichtet. Nun ist Lingshed sogar zur Zentralschule der gesamten Region geworden. Thinlas Lhamo ist stolz auf ihr Dorf und das Schulzentrum. Sie weiß, dass die Österreicher den Anstoß gegeben haben.

Lhamo kann auch stolz auf sich selbst sein. Sie hat die letzte große Prüfung geschafft und sich in Leh bei der Schulbehörde angemeldet.

Heute: Was die kleine Thinlas Lhamo mit sechs Jahren auf der Weide nur zu träumen wagte, ist nun längst Wirklichkeit. Seit 2004 ist sie nun Lehrerin in Lingshed und mit ihrem Leben ihren SchülerInnen ein gutes Vorbild.

Friends of Lingshed: Hilfe durch Zusammenarbeit
In einer Zeit rasanter Entwicklung, die langsam auch Ladakh erreicht, stehen die Friends of Lingshed, ein gemeinnütziger Verein aus Österreich, den BewohnerInnen des Dorfes Lingshed zur Seite. Das Ziel des Vereins ist es, durch Bildungsprogramme nachhaltige Hilfe zu leisten.

Das Projekt Friends of Lingshed wurde 1994 von Christian Hlade (GF von Weltweitwandern) gegründet. Im Jahre 2000 leitete er den Bau einer Solarschule, die der Grundstein für die Entwicklung eines großen Schulzentrums der örtlichen Regierung in Lingshed war. Die Solarschule ist nun im Sinne der Nachhaltigkeit – in die Selbständigkeit entlassen, die vielen Bildungsprojekte bestehen jedoch weiter. Das ausschließlich ehrenamtliche Team von Friends of Lingshed organisiert Patenschaften, Umwelt- und Bildungsprojekte nicht nur in Lingshed sondern auch in umliegenden Dörfern. Mehr Infos unter: www.solarschule.org