Lockdown in Marokko geht zu Ende

Vom 16. März bis einschließlich 10. Juni war in Marokko alles geschlossen und das gesamte Land, alle Schulen und das komplette öffentliche Leben waren im Lockdown. Stille und Stillstand total. Seit 11. Juni öffnen sich die Dinge allmählich wieder und die MarokkanerInnen versuchen ins normalere Leben zurückfinden – alles aber unter strengeren Sicherheits- und Gesundheitsauflagen und Einschränkungen (z.B. Mundschutz als Pflicht).

Schulgründerin Stephanie Itto Tapal-Mouzoun hat uns nun einen aktuellen Bericht zukommen lassen, den wir sehr gerne hier teilen:

„Das aktuelle Schuljahr wurde nun offiziell als abgeschlossen erklärt, für den Übertritt wird man sich auf die Halbjahresnoten vom Januar berufen, und der offizielle Schulbetrieb soll erst im September mit Beginn des neuen Schuljahres losgehen.

Da die Schließung der Schulen auch in Marokko sehr überraschend gekommen ist, konnte sich niemand darauf vorbereiten und absprechen, auch die Fern-Begleitung (vorallem über What’sApp) war etwas ganz Neues und nur teilweise möglich. Smartphone-Nutzung ist für die meisten hier immer noch ein unbekanntes Gebiet und viele Eltern haben noch gar keines, geschweige denn einen PC oder Internetzugang zu Hause. Viele Eltern sind AnalphabetInnen und daher war deren Hilfe im Homeschooling oder Kontakt-Halten über e-Messages schier unmöglich.

Hier im Tal hat sich leider wieder die große soziale Bandbreite und Heterogenität unserer SchülerInnen- und Elternschaft gezeigt – viel mehr noch als in den Städten herrscht hier eine Ungleichheit, die wir als Schule im normalen Unterrichtsbetrieb meist recht gut ausbalancieren können, in solchen Extremsituationen, wo Lernbegleitung komplett in Elternhand liegt, aber nur wenig ausgleichen können.

Homeschooling ist in Marokko sehr schwierig, weil Internet und Handies noch nicht zum Alltag der Menschen im Ait Bouguemez Tal gehören.

Schule übers Fernsehen

Das marokkanische Bildungsministerium hat auf die unerwartete Situation sehr schnell und gut reagiert und umfassende Fernsehprogramme und auch Online-Unterrichtsprogramme angeboten, wovon ein paar SchülerInnen sicher profitieren konnten und teils immer noch tun. Die Prüfungsklassen wurden auch von unserem LehrerInnen-Team in WhatsApp-Gruppen begleitet und aus der Ferne betreut, was in den meisten Fällen sehr gut funktioniert hat; die LehrerInnen haben Aufgaben gestellt und evaluiert, und vereinzelt sogar per Video und Sprachnachrichten Unterrichtseinheiten geboten. Wie und ob diese Schüler dann im Herbst Prüfungen machen müssen oder direkt in die nächste Schulstufe übertreten können, ist noch offen.

Seit 11. Juni dürfen wir uns als LehrerInnenteam wieder offiziell treffen, allerdings nach wie vor nur auf freiwilliger Basis und unter Gesundheitsschutzauflagen. Mit dem Führungsteam des campus vivant’e sind wir nun also am offiziellen Abschließen des Schuljahres (Notenerfassung, Papiere, Administrationsarbeit) und mit allen LehrerInnen am Planen des kommenden Jahres. Hier hat nun vor allem auch die Reflexion der letzten Monate und die Frage zu unserer Rolle als Bildungseinrichtung großes Gewicht.

Finanziell gesehen geht es den Familien im Ait-Bougoumez-Tal aktuell nicht schlechter als sonst: Auch hier hat der Staat wirklich vorbildlich reagiert und zahlt allen Familien ohne Arbeitsvertrag oder Sozialversicherung (also allen Tagelöhnern, Bauern, einfachen Arbeitern, Arbeitslosen, Witwen,…) ein kleines monatliches Hilfsgeld und teilweise auch materielle Verpflegung, was ihren Lebensunterhalt sichert und ihnen Sorgen nimmt.
Unser eigenes Team konnte dank der Spendengelder und eurer Unterstützung seinen Lohn weiterhin beziehen und somit hat der campus vivant’e hier eine wichtige Rolle als sorgender Arbeitgeber weiterhin ausführen und die Existenz von über 20 Angestellten und ihrer gesamten Großfamilien sichern können. Unser Busfahrer Brahim zum Beispiel ernährt mehr als 10 Personen mit seinem Lohn. Dafür sind wir sehr dankbar!

„Dank der treuen SpenderInnen für den campus vivant’e konnte dieser Ort überhaupt entstehen und so vielen Menschen einen Arbeitsplatz bieten, die dadurch ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihre Lebensqualität verbessern konnten – nicht nur ihre eigene, sondern die ihrer gesamten Familie und somit der Gesellschaft im Allgemeinen hier.“ ( Mohammed Azizi, Französischlehrer am collège vivant’e)  

Die beiden SchülerInnen Ranya und Ali haben uns einige Zeilen aus der Zeit des Lockdowns geschrieben. Es hat uns sehr berührt und gefreut zu lesen, dass sie das im praktischen Permakultur-Unterricht Gelernte zu Hause einsetzen konnten! Aber lest selbst, was uns die beiden geschrieben haben (Download PDF, 659 kb).

Ab dem 02. September soll es planmäßig mit dem neuen Schuljahr auf „normale Art“ wieder mit den SchülerInnen im Unterrichtsbetrieb losgehen. Wir alle hier am campus vivant’e müssen aber weiterhin offen und flexibel bleiben, da niemand wirklich sagen kann, wie sich die Dinge allgemein entwickeln.

Es ist (noch) ruhig am Gelände des campus vivant’e

Die LehrerInnen dürfen sich erstmals wieder an einen Tisch setzen, um gemeinsam Pläne für den Campus zu schmieden – im Bild das Leitungsteam des Campus.